Lost Places
Herrlich war das gestern. Irgendwie ist dieser Monat recht gut. Gaaanz kurz hatten die Hormone mir mal ihre übliche Kidnapperkapuze übergezogen (Lähmung, Resignation, Überforderung), aber es war wirklich lachhaft, wenn ich mit einigen Monaten des letzten halben Jahres vergleiche.
Ich finde irgendwie immer mehr zu mir selbst, nehme zur Zeit (!) auch gut jede Hürde an und genieße sie fast ein bißchen. Die Frage wäre: warum? Am besten vergesse ich die Frage und starre wie gehabt öfter mal Dampf über Tassen an oder atme tief in den Bauch. Es hilft.
Gestern habe ich den Laden gefunden, den ich vor vielen Jahren öfter besucht hatte. Die Inhaberin habe ich gleich angequatscht und wir haben philosophiert, es war toll. Sie ist toll. Naketano führt sie noch, was ich kritisierte, aber die zwei Chef-Spacken haben sich wohl entzweit und so wird es keine weiteren sexistischen Namen mehr geben. Die Klamotten waren an sich nicht schlecht, aber das Label boykottiere ich.
Egal - es war prima, wieder in dem Lädchen zu sein. Es ist ein ganz besonderer Ort in einer Stadt, in der man wenige Meter weiter Designermode kriegt, die sich einen Sch... um faire Bezahlung oder Arbeitsbedingungen schert. In dem Lädchen ist das meiste fair produziert. Habe mir mal was gegönnt, muß auch mal sein.
Städte mit Weihnachtsmarkt, nee, Gebiete rund um Weihnachtsmärkte kann man nur meiden. Mir gibt das gar nichts. Weder gibt es was Sinnvolles zu kaufen, noch lockt da was Kulinarisches. Und Menschenaufläufe sind auch so gar nicht mein Fall...
Die Ausstellung war sehr beeindruckend. Leider gab es diverse Angebote, sodaß es schon viel Überwindung brauchte, meine Jacke und die Taschen einzuschließen - grenzwertig, die Menschenmassen und Räume mit nur einem Ausgang... Trotzdem konnte ich die Führung genießen. Once in a lifetime, glaube nicht, daß mir der Künstler nochmal unterkommen wird. Auch hier hatte ich ein schönes Gespräch mit der Kunsthistorikerin, die ich aus dem TV kannte. Jede Ausstellung spiegelt den herrschenden Zeitgeist wieder. Was zeigt man von einem Künstler, welche seiner Perioden, zeigt man auch die später ungeliebte Schaffenszeit? Werden Frauen ausgestellt, wenn gerade die Männer das sagen haben usw... Ich nehme mir viel mit von diesem Besuch.
Das Café... ... am A... Sie sind ja völlig abgehoben. Ich kenne noch Bedienungen dort... die waren Alte Schule... Jetzt ist es gruselig. Da ich (offensichtlich) nicht zum Kulturkreis des Kellners (ja!) gehörte, wurde mir ziemlich unfreundlich angetragen, mir selbst Kuchen an der Theke zu bestellen - der heiß erkämpfte Platz wäre weg gewesen... Am Nebentisch sah das anders aus... Tja, da bin ich dann ziemlich schnell verduftet und habe ein kleines italienisches Café gefunden, wo ich auch mit diversen Leuten ins Gespräch kam, weil es so kuschelig, äh, eng war. Nee, war nett.
„Zu Hause“ habe ich dann noch eine phoenix-Reportage über Lost Places gesehen und konnte nur staunen. Tenor war: die jungen Leute randalieren ja nur, steigen ein, schreiben Graffiti usw.
Hmm, es ist schizophren, oder? Ein angebliches Kulturdenkmal, eine Industriehalle oder dergleichen, ist schön und schützenswürdig, wird aber sich selbst, dem Regen, Frost, Pflanzen und Tieren überlassen... Wenn der Topfotograf kommt und den Verfall dokumentiert in einem Bildband, dann gilt das als schön und in Ordnung. Wenn unsere, hübsch liberal und zum Opportunismus erzogene Jugend einbricht, dann ist das schlimm.
Mal ehrlich: Diese Industriedenkmäler sind Schrott, sobald das Wasser drin steht! Wenn sie keiner anschaut, pflegt, schützt, ist es auch egal, wenn drei Graffiti an der Wand sind. Meine Meinung. Das ist Augenwischerei.
Wer A sagt, muß auch B sagen. Der Mensch macht immer alles, was ihm nicht bei Strafe verboten ist. Strafe ist entweder die Ächtung durch die Gemeinschaft (hier nicht anwendbar, da keine oder unzureichende Wertevermittlung bezüglich Kulturdenkmälern erfolgt) oder eben unmittelbares Auf-die-Finger-hauen wie Alarmanlage, Abführen, Einbuchten, Geldstrafe, Arbeitsdienst - auch nicht anwendbar, da die „Denkmäler“ lost und lose vor sich hin verfallen dürfen.
In die Zeche Zollverein steigt bestimmt keiner ein...
Ich finde natürlich Bildbände über verfallende Industrieanlagen trotzdem ganz schön... aber genauso hübsch sind verfallende Gewächshäuser (bei uns in der Nähe) oder Schwimmbäder, bis die nächste Betonwelle kommt und wegen des massiven Bevölkerungswachstums (?) noch ein paar gefängnisähnliche Behausungen entstehen müssen.
Aber DAS ist ein ganz anderes Thema.
😚