Das Heute und das Morgen
Immer wieder schön, der Wahnsinn des Berufslebens. Die Hälfte, mindestens, ist Politik. Letztens durfte ich mal in die Vorstandsetage. Habe nicht schlecht gestaunt, trotzdem war es furchtbar. Hab' mich schrecklich unwohl gefühlt.
Ich weiß schon, wo ich hingehöre und das ist jetzt nicht nur doppeldeutig gemeint, sondern ergibt sogar dreifach Sinn. :-) Hatte ein sehr nettes Gespräch am Kaffeeautomaten und habe mit Freude festgestellt, daß es noch Männer gibt, die Imponiergehabe für mich auspacken. Witzigerweise passiert das immer an den Tagen, an denen ich mich überhaupt nicht leiden mag.
Eine meiner Kolleginnen kann nur noch an der Wand entlanggehen. Schwindel. Tips hört sie sich an, setzt sie aber nicht um. Daß sie seit ewig "auf Ibu" ist, hat mich schockiert. Sie macht seit dem Rauswurf eines Kollegen drei Jobs mindestens gleichzeitig. Die Frage war, wie lange. Die Frau war ja die, die mir mein Chef damals als leuchtendes Beispiel präsentiert hatte: "Die kann das doch auch..." Sie ist nicht meine Freundin und wird es auch nie werden, aber sie tut mir trotzdem leid. Wo ist der Cut, wo sagt frau "kann nicht mehr"? Die Tatsache, daß sie trotz Schwindels zur Arbeit kommt, sagt mir, daß sie noch nicht bereit ist, Nein zu sagen.
Und was bleibt? Zuschauen, Studium der menschlichen Psyche, Gewißheit, daß ich lieber in meinem Keller bleibe, wenn sie und andere wieder "ganz oben" herumfallen... Sie ist Typ "Hans Dampf in allen Gassen" und "megabeliebt", aber sie wird auch älter.
Geht mir weg mit Euren "Karrieren". Eine Leberzerstörungskarriere kriegst du kostenlos dazu...
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Zur Zeit schaue ich "The Last Man on Earth" (über unser so wenig genutztes Entertain). Gerade die ersten paar Folgen fand ich genial. Jetzt - in S2 - gibt es auch wieder viel zu lachen. Will Forte hat so tolle Charaktere geschaffen, diese Serie ist ein einziger Geniestreich. Tandy ist einfach herrlich (bekloppt) und auch Carol mag ich sehr.
Ja, das ist witzig und tragisch, wie die letzten Menschen auf Erden doch so schlecht aus ihrer alten Haut können. Will Forte präsentiert uns die besten "Nicht Nachmachen!"-Momente, die einen einfach glücklich machen (mich zumindest), aber auch den ganz banalen Alltagskram. Auch ein schönes Lehrstück.
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Sweterlitsch hat mich übrigens nun doch nicht mehr losgelassen. Habe "Tomorrow and Tomorrow" gekauft und ich habe es bis jetzt nicht bereut (bin bei ca. 60 %).
Du meine Güte, was für ein geniales Buch. "Handwerklich", nein künstlerisch betrachtet, einfach echt oberste Liga.
Dazu kommt, daß die Geschichte ganz nah an unserer Welt, unserer Zeit ist.
Dominic arbeitet für eine kleine Firma, die im Auftrag von Versicherungen Todesfälle recherchiert. Er geht dazu mittels seiner Adware (sein Kopf ist komplett verkabelt) in einem virtuellen Pittsburgh spazieren. Die Stadt an sich ist vor zehn Jahren komplett zerstört worden. Dominic ist sehr gut in seinem Job, damit kommt er gefährlichen Leuten in die Quere...
Ich hatte gelesen, daß Gewalt an Frauen auch ein Thema des Buches sein würde. Ich muß schon sagen, daß es teilweise wirklich wehtut. Aber - und das las ich bei einer anderen Rezensentin auch - dieses Buch ist trotzdem einfach wunderbar.
Mich begeistert das, wenn jemand Dinge so gut beschreiben kann, daß ich sie richtig vor mir sehen kann. Allein die Szene, wo Dominic eine neue Adware bekommt. Ich sehe das genau, wie es aussehen wird, im Film. Diese Szene kommt in den Film hinein.
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Ja, ein Film ist geplant und ich fürchte, genau wie für "The Gone World" auch, daß all die feinen Nuancen verlorengehen werden im Prozeß der Auswahl für anderthalb bis zwei Stunden Film.
Dominic ist z.B. kein Held. Er ist teilweise naiv, unvorsichtig, dann wieder erwischt er sich selbst bei einem cleveren, aber eben ungeplanten "Move" (paßt am besten, da doppeldeutig).
Diese Welt, in der er lebt, sie wird uns schon "morgen" selbst drohen. Ja, das Buch könnte auch gut für eine "Black Mirror"-Episode herhalten, grundlegend, auch wenn es natürlich viel mehr ist als das. Die Menschen werden nur zu gerne ihre Körper mit Adware verzieren und ihre Hirne, Erinnerungen, Bilder und Gefühle anzapfen, aufzeichnen und archivieren lassen. Ich sage für in fünf Jahren die ersten Adwares voraus. Darauf folgend, im Buch sind sie inflationär, Augments in Billboards, Schaufenstern, auf Flyern usw.
Wenn das alles kommt, werde ich die letzte sein, die zustimmt. Aber irgendwann wird dies alles Stand der Technik, normal und banal sein. Wehret den Anfängen...
Wir stehen an der Schwelle zu extrem veränderten Lebensbedingungen. In Afrika wird man hungers sterben, hier die Pizza per Retina-Klick ordern.
Gerade Geschichten, die ganz nah an unserer Welt sind und uns zeigen, was wir bewahren sollten, sind so beeindruckend.
Ich bin nicht erst ab heute Tom Sweterlitschs größter Fan und hoffe auf mehr Bücher, nicht nur Drehbücher. Die Filme werde ich auf jeden Fall schauen und bin gespannt auf Shannon und Dominic. Wer wird die spielen?
*So, Tandy, habt Ihr jetzt den Bullen gefunden? Ich wäre ja schon längst umgezogen. Wie doof Ihr doch seid, Mensch. Eine Farm braucht Ihr und mehr als eine Kuh, Gemüse müßt Ihr anbauen und vielleicht sogar Getreide...
Der Mensch begreift erst, was der wahre Luxus gewesen ist, wenn er ihn verloren hat, aber bei Euch dauert das wohl noch...* ;-)