Traurig
Die Gasse hinter den Häusern ist speziell. Ich weiß das ja, aber nun, da ich erreicht hatte, dass ein Poller wieder aufgestellt werden wird (warte noch drauf) und der Nachbar seinen Weg hat reinigen und Hecken und Bäume schneiden lassen (Respekt an die Gärtner), dachte ich, es würde ruhiger werden.
Nope. Vorgestern Abend ist eine gerade obdachlos gewordene Frau „eingezogen“. Rausgesetzt von ihrer „Freundin“, hat sie dann auf Kisten und Kästen da geschlafen. Ich habe es erst am Vormittag kapiert, habe sie dann gefragt, ob wir helfen können. Haben ihr auch ein paar Dinge rübergereicht, Powerbank fürs Handy gegeben usw. Es regnete, gewitterte, die Sonne schien. Sie saß da im Kleidchen und hatte angeblich einen Plan.
Fazit des sehr unschönen Tages ist für mich:
- Bin traurig. Traurig darüber, dass Menschen andere nachts in die Dunkelheit entlassen, ohne ihnen zumindest ihren Kram unterzustellen. Das geht auch mit Polizeiunterstützung oder wie auch immer, falls man gar nicht mehr miteinander kann.
- Traurig machte mich auch die Reaktion meiner Vermieterin. Das Problem hier war, dass das Ordnungsamt/Polizei/Stadt keine Unterbringungsmöglichkeiten haben UND die Frau aus einem anderen Kreis kommt. Tja, dann lassen wir‘s einfach! Und jeder ist fein damit. Mein letzter Stand war: „Ich ziehe in den Wald.“
- Die dritte Sache war, dass ich dem Drachen mal wieder nicht geglaubt habe. Seine Menschenkenntnis ist super. Er meinte, irgendetwas sagt sie uns nicht. Wir haben uns fast drüber verkracht, weil ich auch ihn für kalt und teilnahmslos hielt. Tja, aber so war es.
Sie hatte eine andere Agenda. Hat nichts gemacht von selbst, dann einen anderen Mieter angehauen, dort die Sachen untergestellt. Hat sich abholen lassen von einem, der ihr angeblich an die Wäsche will. Erzählt mir das und nun darf ich damit klarkommen.
Powerbank ist weg, Wagen, den ein Nachbar geliehen hatte, blieb im Regen stehen. War auch irgendwie klar.
Ich bin bis jetzt irgendwie seltsam drauf. Der Drache sagt, ich hätte sie am Ende bei mir auf der Terrasse sitzen gehabt, während sie sich ihr halbes Leben lang durchschnorrt.
Einerseits stimmt das, andererseits weiß man auch nie, ob jemand eventuell nicht mehr handlungsfähig ist, weil er krank, unter Drogen, dehydriert (!) ist.
Ich kam gestern auch an den Punkt, wo ich merkte, dass sie sich widerspricht. Da war dann auch Schluss bei mir. ABER von vornherein möchte ich offen bleiben. Es geht noch nicht einmal um „Du mir, wie ich Dir“, es ist einfach richtig. Und Leute, die immer gleich das Schlechteste von anderen annehmen, setzen mir mehr zu als eine, die dreimal falsch abgebogen ist, keine Selbstwirksamkeit erfahren hat und sich nun treiben lässt.
Apropos dehydriert. Meine Mutter war im Krankenhaus.
Die Nachricht kam am zweiten Urlaubstag. Habe versucht, aus wie viel km Entfernung… 800? zumindest zu verhindern, dass sie ad hoc ihr Antidepressivum absetzt, wie die Ärztin im Krankenhaus wollte. Nix gegeben, nichts gesagt zu Essen, Salzen oder so. Sie sollte nur absetzen. Vor allem im Sommer. Die Dosis, die sie gerade erst nochmals (gegen meinen Rat) erhöht hatte. Super Idee. Wohnt alleine unterm Dach. Solche Leute findet man dann nach Wochen.
Uff… wie es mir da geht. Ich rede: faste nicht im Sommer, nimm Elektrolyte, Du bist ausgetrocknet… Ja, ja, bla bla.
Das nächste was ich höre: Krankenhaus, andere kaufen ein, fahren sie. Da hat sie sich auch besser gefühlt! Weil sie sich sicherer gefühlt hat!!!
Oh Mann. Sie könnte sprichwörtlich nebenan wohnen.
Ich kann doch sagen, was ich will. Sie holt Statine aus der Apotheke, obwohl weder ihr Fettstoffwechsel, noch ihre Arterien das verlangen würden. Wie viele Jahre war sie jetzt bei dem Idioten von Arzt, obwohl ich schon am Anfang gesagt habe, dass der nichts kann?
Sie nahm auch ASS auf Anweisung und Rezept, ohne jemals einen Infarkt gehabt zu haben… um dann von Mr. Bekloppt gefragt zu werden, warum sie sowas nimmt!
Frau lebt weiter abgeschieden, ohne Auto, auf‘m Berg, im dritten Stock, unter dem Dach. Im Garten wird demnächst ein weiteres Haus gebaut.
Frau fragt nicht nach einer Klimaanlage, will aber auch nicht umziehen, auch nicht in der Heimat, geschweige denn hierher.
Auf die Frage, was ich machen soll, wenn sie mal verwirrt/dement/nicht ansprechbar ist - da kriege ich nur die Antwort „Du bist dann zuständig und wirst das schon richtig machen, vertraue Dir.“
Bitte was? Ich will das konkret wissen. Wo einquartieren, wenn Hoffnung besteht oder eben, wenn keine besteht. Mann, meine Mutter ist fast 73, aber tut so, als würde sie morgen wieder durch die Kante springen wie ein junges Reh. Das mag für andere möglich sein, die Arbeit reinstecken, für sie leider nicht. Sie lässt sich auch treiben. Sie hat schwer gearbeitet, das spreche ich ihr nicht ab. Durch das ständige Tragen von Kindern im Kindergarten ist ihr Genick kaputt. Aber ich habe sie nie erlebt mit einem „Scheiß drauf, ich ziehe das durch“-Moment. Ich hatte die leider schon so oft in meinem Leben… Es geht nicht ohne Entscheidung, in einem bestimmten Zeitfenster, wenn Du noch selbst bestimmen kannst. Da musst du manchmal investieren (Gedanken, Kraft, Geld), damit es später wieder besser laufen kann.
Sie schiebt die Entscheidungen weg und so werden sie mir überlassen, die Frage ist nur, wann ich sie werde treffen müssen…
Ich sage seit Jahren, dass ich glaube, Kindis Pubertät, meine Wechseljahrsbeschwerden und meiner Mutter Krisen werden wunderbar parallel laufen. Mir fällt noch was ein: Jobverlust. Und dann Dinge regeln über 500 km Entfernung…
Es kommt ohnehin immer anders als gedacht. Kann nur den Menschen helfen, die Hilfe wollen. Der Warnschuss hat bis jetzt nichts bewirkt, keine Antwort, keine Konsequenz.