Unreliable Narrators
Puh! Wie gemein... Jetzt muß ich auch noch „Foe“ lesen, das zweite Buch von Iain Reid. Leider hing nämlich die Leseprobe an „I‘m Thinking of Ending Things“ dran und diesmal ist es auch Sci-Fi...
Ich habe Reids ersten Roman gestern in einem Zug gelesen. Er ist so gut geschrieben. Man sieht den Twist nicht kommen. Man erlebt mit der namenlosen Ich-Erzählerin immer mehr merkwürdige Begegnungen und es beklemmt einen, aber ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, bis zum Ende, das so anders ausfällt als erwartet. Es ist ein Horror, der einem im Kopf bleibt und über den man immer wieder nachdenken wird...
Eine junge Frau ist zusammen mit ihrem Freund zu seinen Eltern unterwegs, die ziemlich abgelegen auf einer Farm leben. Sie trägt sich mit dem Gedanken, die Beziehung zu beenden und wägt gedanklich Für und Wider ab. Was dann passiert, kann keiner ahnen...
Charlie Kaufmann wird dieses Buch verfilmen. Und wenn ich an „Adaptation“, „Being John Malkovich“ und „Eternal Sunshine..“ denke, dann vermute ich, daß ein sehr skurriler Film herauskommen wird, einer, der uns die Figuren wirklich nahebringt und einer, der keine kurzen Wege geht. Einer, der dem Buch und seinen Besonderheiten Rechnung tragen wird. Wenn einer das kann, dann ist es Charlie Kaufman. Und wenn dann noch Toni Collette mitspielt, ist es klar - auf jeden Fall werde ich mir diesen Film ansehen!
An „I‘m Thinking of Ending Things“ ist etwas ganz besonders toll: es enthält einige der besten Subplots, die ich seit langem gelesen habe. All die kleinen Anekdoten, Merkwürdigkeiten, sie haben mich begeistert. Die Erzählerin und ihren Freund sehe ich dann auch direkt vor mir, sie sind so gut beschrieben. Diese junge Frau kann ich super charakterisieren. Sie ist nicht dumm, aber hinter ihren Worten liegt etwas Naives. Sie sagt die cleversten Dinge, aber ist sich ihrer selbst nicht sehr sicher. Ich meine, diese Person zu kennen - so gut hat Reid sie herausgearbeitet.
Wenn man das Buch liest, muß man sich im klaren sein: Das ist etwas, was manche stark verunsichert und sie im Anschluß Hilfe suchen läßt. Mir geht es nicht so, ich sehe vordergründig die Meisterschaft des Autors. Ich denke nach über die Geschehnisse und versuche (mit dem Wissen, das ich nach dem Reveal habe), diese neu einzuordnen. Ich bin tief beeindruckt, aber nicht traumatisiert. Trotzdem: Brace yourself for impact.
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Nochmal zu „Dark Matter“: Im Vergleich zu einem wirklich guten Buch sehe ich nun immer mehr die Mittelmäßigkeit. Das Buch hat mir nichts gegeben und nichts genommen. Es gibt Werke, die verlangen einem viel ab und trotzdem nimmst du was mit, und sei es nur, daß du nachher anders über das Leben denkst, dich wieder neu ausrichtest oder daß du einfach mal wieder Bewunderung für einen großartigen Autor empfindest. Siehe „Black Mirror“, man haßt und liebt gleichzeitig, was es mit einem macht.
Hmm, und du denkst: ich bringe das nicht. So nicht. Mittelmäßigkeit ist zu wenig. Ein Werk, ob Buch oder Film, sollte irgendein Alleinstellungsmerkmal haben. Eine neue Geschichte, eine neue Erzählweise, eine besondere Sprache, eine besonders gute Moral...
Roland Emmerich ist schon an der Verfilmung von „Dark Matter“ dran. Und leider, leider weiß ich genau, worauf er sich fokussieren wird. Die Grundaussage des Buches ist schon nicht sehr komplex, aber sie wird noch weiter eingeschränkt werden. Die Hauptfigur Jason wird neben der starken Liebe zu seiner Familie auch noch ein extremer Patriotismus auszeichnen.
Die wenigen, aber eindrucksvollen Horrormomente des Buches, die der Leser gut verkraften kann, weil er sie sich ja selbst kreiert und erklären kann, werden ausgeschlachtet und überdeutlich dargestellt werden...
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„A memory is its own thing each time it's recalled. It's not absolute. Stories based on actual events often share more with fiction than fact. Both fictions and memories are recalled and retold. They're both forms of stories. Stories are the way we learn. Stories are how we understand each other. But reality happens only once.“
(Iain Reid, I‘m Thinking of Ending Things“)