Zehn, zum hundertsten Male
Ich träume wieder von der Gruppe von Leuten, die die Apokalypse überlebt haben oder im Bürgerkrieg lebt oder...
Es ist immer diese kleine Gruppe. Früher war ich immer die Anführerin, zur Zeit bin ich eher nur ein Mitglied der Gemeinschaft, das berät und zur Vorsicht mahnt.
Letztens war es ein Industriegebiet, große Hallen, in denen wir uns niederließen und in den wir gut zurechtkamen.
Diesmal: eine alte Villenkolonie und viele Gedanken um Essen und Essensbeschaffung, Erhalt der Bausubstanz. Diesmal gab es auch wieder Bedrohung von außen, Versteckenmüssen und offenen Kampf.
Als ich bei der Ärztin war letztens, stimmte sie mir zu als ich sagte, daß ich noch Dinge von Omas Leben mit mir herumtrage. Ich weiß nur wenig darüber, weil sie irgendwann aufgehört hat, darüber zu sprechen. Gerade das Thema „die Russen kommen“ hat sie ausgespart und ich denke, ich weiß, warum. Durchschüsse, Tiefflieger, Bomben, das zerstörte Dresden... wie viel wird davon epigenetisch gespeichert?
Meine Mutter träumt schon immer von Verfolgung. Sie muß immer in Kellern durch enge Durchgänge fliehen. Auch in meinen Träumen spielt oft der Untergrund eine Rolle. Unter der Erde und Untergrund-Kämpfer, beides. Opa war Deserteur, wofür ich ihm heute gerne danken würde und er hat sich geschämt und die Scham mit ins Grab genommen... Ach, Opa.
Wenn ich mir heute irgendeinen Menschen aussuchen könnte, den ich treffen wollte, dann wäre er ganz oben auf der Liste. Weil ich ihm nie sagen konnte, wie sehr er mein Leben geprägt hat und wie sehr ich ihn liebe.
Heute geht es mir ganz seltsam. Ich weine um Opa, um meine Schwester und Alexander. Ömchen habe ich gut verabschieden können, aber andere Dinge sind nur in meinem Kopf und keiner versteht, was mit mir ist, weil sie nicht dasselbe durchgemacht haben. Heute ist das Entbindungstrauma ganz klar da, warum? Ich trauere um alle Wege, die ich nicht mehr gehen kann, weiß gleichzeitig genau, daß es nicht anders geht und ich das was ist einfach annehmen und genießen muß...